Ein Fest der Stimmen

Sebastian Hübner und der Bruchsaler Kammerchor gestalten Monteverdis Marienvesper in der Lutherkirche

Wer sich wundert, dass eine urkatholische Marienverehrung in der evangelischen Lutherkirche zu Bruchsal stattfindet, liest die Inschrift an der Kanzel „Am Anfang war das Wort.“ Und dieser Prolog des Johannesevangeliums wird zur künstlerischen Maxime, wenn sich der Hochschullehrer Sebastian Hübner an die Marienvesper von Claudio Monteverdi mit dem Bruchsaler Kammerchor herantraut. Denn die doppel- und mehrchörigen Anforderungen dazu sind das Höchste, was man einem semiprofessionellen oder Amateurchor überhaupt zumuten kann. Qualitätsgarant der Gestaltung ist die immer defensive instrumentale Begleitung des Expertenensembles „Musiche Varie“ mit Martin Lubenow, das durchgehend dem Prinzip treu blieb, die Texte in ihrer Semantik und Wirkung zu verstärken, höchstenfalls zu verzieren. Deshalb übernehmen nicht schmetternden Trompeten und Pauken in barocker Manier die Klangregie, sondern drei Zinken als historische Blechblasinstrumente, eng mensurierte Posaunen, leichte Bögen bei den Streichinstrumenten und ein vorzüglich intoniertes Orgelpositiv für die Flötenklänge. Flink wechseln die drei Zinkistinnen auf die Flauti Dolci und zurück. In der hilfreichen Akustik der Lutherkirche können bezaubernde Fernwirkungen und Echos realisiert werden mit entfernter Positionierung von Vokal- und Instrumentalsolisten. Ein Tenor entflieht auf die Empore und Posaunisten verlaufen sich in die Seitenschiffe mit der Colla-parte-Begleitung zweier Vokalsolisten. Herausragende Glanzpunkte des Konzertes setzen die sieben Vokalsolistinnen Heike Heilmann und Carmen Buchert, Sopran, Hyesoo Cho, Alt, Daniel Schreiber und Peter Gortner, Tenor und Luciano Lodi mit Matthias Horn, Bass. Selten erlebt man eine derart perfekte klangliche Abstimmung, stimmästhetischen Ausgleich und ideale Phrasierung mit makelloser Textverständlichkeit, die im aufwendig gestalteten Begleitheft zusätzlich von der deutschen Übersetzung profitierte. Wunderbare Auflösungen dissonanter Reibungen, schwingende Punktierungen und authentisch gregorianisch gestaltete Antiphone wechseln mit dem Flächenklang der Hymnen und filigranen instrumentalen Brückenschläge. Im Finale blühen Chor und Orchester auf und das „Sicut erat“ wird zum angenehmen Klangbad in der Lutherkirche. Sebastian Hübners Griff in die oberste Schublade anspruchsvoller Kirchenmusik endet als gelungene Einheit von Text, Klang und Raum in idealer Verschmelzung der Stimmen und Instrumente. Maestro Hübner leistet sich ein gewagtes Gestaltungsexperiment und gewinnt, weil er dafür selbst alle Qualitäten und die nötigen Kontakte in die professionelle Welt der Experten für die historische Aufführungspraxis hat. 

Johann Beichel