Wir freuen uns, die Motetten ein weiteres Mal singen zu können

Kammerchor auf Konzertreise nach Norderney

Foto: Elisabeth Maironi
Oft können anspruchsvolle Konzertprogramme nur ein einziges Mal aufgeführt werden, was angesichts des großen Probenaufwands sehr bedauerlich ist. Anders war es jedoch beim Motetten-Programm des Kammerchors Bruchsal: Nach der Aufführung in der Lutherkirche Bruchsal vor zwei Wochen konnte der Chor das Konzert auf Einladung von Kantorin Gudrun Fliegner in der evangelischen Inselkirche auf Norderney ein weiteres Mal singen.
Bachs Motetten sind für jeden Chor eine große Herausforderung. Meist sind sie doppelchörig angelegt. Die beiden Chöre agieren immer wieder miteinander und konkurrieren gegeneinander, spielen sich die musikalischen Themen zu wie Frage und Antwort, wie Idee und Weiterführung: Es ist ein Geben und Nehmen. Bach schöpft die musikalischen Möglichkeiten zwischen Choral und Fuge voll aus.
»Die Musik erinnert mich an einen riesigen Vogelschwarm, der über das Watt fliegt«, sagt eine Besucherin des Konzerts auf Norderney. »Es ist ein Wogen, das trotz seiner Vielfalt nie chaotisch wirkt. Alles und jedes hat seinen Platz und seinen Sinn.« Ähnlich haben wohl auch die anderen Gäste des Konzerts empfunden, soweit man das an den zufriedenen Minen ablesen kann. Man sieht es auch an den strahlenden Gesichtern, an den leuchtenden Augen der Sänger:innen. Und Dirigent Sebastian Hübner freut sich über die herausragende Qualität des Konzertes in der Evangelischen Inselkirche auf Norderney.
Bach Motetten in der Lutherkirche
Bruchsaler Kammerchor im Jubiläumsjahr

Bild: Stefan Fuchs
Zu seinem vierzigsten Gründungsjubiläum hat der Bruchsaler Kammerchor Motetten von Johann Sebastian Bach ausgewählt. Man erinnert den großen Barockmeister eher als Kantaten- und Passionskomponisten der Sakralmusik. Doch nach Palestrina und Schütz und vor Mendelssohn, Brahms und Reger, neuerdings auch vor Jenkins und Arvo Pärt hat Stammvater Bach der Motette besondere musikalische Aufmerksamkeit geschenkt. Von ihm sind vier doppelchörige Motetten und eine vierstimmige erhalten, darüber hinaus die Choralmotette „Jesu, meine Freude“ für fünfstimmigen Chor und Basso continuo. Im ehrgeizigen Gesamtprogramm dazu die Motetten „Fürchte die nicht“, „Komm, Jesu komm“ und final „Singt dem Herrn ein neues Lied“.
Die eigenwillige Aufstellung der Choristen in der Lutherkirche mit ihrer für die Klangtransparenz idealen, jedoch für die Tragfähigkeit der Pianissimo-Passagen weniger schmeichelhaften Akustik war der Abfolge von BWV 227, 228, 229 und 225 zuerst fünfstimmig, dann doppelchörig geschuldet.
Zwischen den Motetten bereicherten höfische Klänge das interessante Programm mit zwei tiefen Solo-Canzonen von Girolamo Frescobaldi für Violone solo und der bekannten Händel-Sarabande plus Variationen für Theorbe solo, meisterhaft von Ulrike Klamp und Rudolf Merkel interpretiert. Gemeinsam mit Miriam Schulze an Orgelpositiv stützte das immer dezent agierende Instrumentaltrio die chorische Arbeit. Gelungene Flächenklänge in den Chorälen, federnde Zwischensätze mit imponierenden, ja genüsslichen Dur-Schlüssen und rasante Koloraturen überzeugen.
Garant dafür ist Chorleiter Sebastian Hübner aufgrund seines hochpräsenten und engagierten Dirigats, dessen Gestaltungsfreude alle Chormitglieder in den Bann zieht. Der Cantus firmus wird mit deutlicher Phrasierung und Artikulation herausgearbeitet, die Chorsoprane erreichen mutige Höhen und schlanker besetze Passagen gelingen mit besonderer Sensibilität. Positiv für die Gestaltungsqualität zeigt sich, wie Dirigent Hübner, zumal als auch gefeierter Solist und erfahrener Hochschuldozent, die rhythmischen Risikostellen in den doppelchörigen Herausforderungen mit exakter Zeichengebung versiert einfängt.
Die Probenkorrepetition mit der Organistin Miriam Schulze und eine professionelle Stimmbildung der Gesangspädagogin Carmen Buchert garantieren dem Chorleiter optimale Einstudierungsvoraussetzungen, bei der er sich voll und ganz dem Chorklang und der Stimmenbalance widmen kann. Dass seine Chormitglieder mit vorbereiteten Notentexten zu den Proben kommen, darf man annehmen, so sie alle über eine musikalische Vorbildung verfügen.
Wieder ist das Programmheft aufwändig und informativ gestaltet, und wieder freut sich der Kammerchor im Jubiläumsjahr über treue Konzertbesucher, die sich für den besonderen Reiz des Konzertprogrammes und den gewohnt hohen künstlerischen Anspruch des Chores und seines Leiters herzlich bedanken.
Johann Beichel